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Drumheads interview 2010

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Kenn: Schlagzeuger – Pete Lockett
Interview mit Pete Lockett

HL:
Vom Punkdrumming zur rhythmischen Lyrik
VL:
Der Brite Pete Lockett fing mit Punkdrumming an und ist heute ein Meister der sachten Töne: Von der Tabla über Rahmentrommeln über Bongos, Djembe bis zur Cajon ... kaum ein Rhythmusgerät, das er nicht meisterlich beherrscht. Wir trafen ihn während des Dresdner Drumfestivals zum Gespräch.

Zitate:
- „Im Metaldrumming fehlt mir die lyrische Qualität.“
- „Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Drummer für Percussion interessieren.“
- „Indische Musik ist die am höchsten entwickelte Form von linearer Rhythmik.“


DrumHeads!!:Pete, du hast als Punkdrummer mit dem Trommeln angefangen, und gleich nach dir betrat der Blastbeat-Drummer George Kollias die Bühne. Statt ihm zuzuschauen, sitzen wir jetzt hier und machen ein Interview. Stoßen sich Percussion und Metaldrumming gegenseitig ab?
Pete Lockett:. Der Einzige in dem Business, den ich gut kenne, ist Derek Roddy. Der ist ein toller Instrumentalist und der Einzige, den ich mir wirklich mal richtig angeschaut habe. Ich als Perkussionist denke aber vielschichtig – besonders bei Aufnahmen, wo ich manchmal 15 bis 20 Spuren nacheinander einspiele. In diesem Zusammenhang würde ich nie eine derartige Frequenz fühlen. Das hat für mich die rhythmische Lyrik verloren, die Schönheit all der verschiedenen Töne. Egal, ob du die höchsten oder mittleren Frequenzen nimmst, oder den Bass... besonders beim Bass fehlt für mich bei derartigen Beats was von der lyrischen Qualität.

DH!!: ... lyrische Qualität?
Pete: Ja, der musikalische Fluss. Musikalische Phrasen ... Ich mag Leute mit guter Doublebassdrum-Technik, die musikalische Phrasen spielen. Dirk Verbeuren von Soilwork macht das, Derek Roddy auch, die spielen einfach musikalisch. Das ist der springende Punkt! Es kommt gar nicht darauf an, ob es Speeddrumming, Jazz oder klassische indische Musik ist, sondern ob es gut ist. Ob es musikalisch ist. Machst du mit deiner Doublebassdrum ein musikalisches Statement, oder ist Wut dein Statement? Ich habe mit Punkdrumming angefangen, mit 19 Jahren, nach dem Gig hab ich mein Kit zertrümmert. Toll. Fantastisch. Zumindest für ein paar Jahre. Für mich war das damals ein Statement. Aber dann willst du dich weiter entwickeln und andere Sachen machen. Für mich geht es einzig darum, zum Kern der Musik zu gelangen. Das ist die Hauptsache.

DH!!: Du – der bekannte Handtrommel-Virtuose – hast erst mit 19 angefangen zu trommeln ... und dann auch noch Punk?
Pete: Ja, das alles ist auch eher zufällig passiert. Ich lief in Portsmouth in England, wo ich herkomme, an einem Drumshop vorbei. Da war ein Schild im Schaufenster: „Schlagzeugunterricht 5 ₤ die Stunde“. Also ging ich rein, nahm zwei Stunden, und zwei Wochen später spielte ich in einer Band. Einer Punkband. Der Drummer vor mir hörte mitten in den Songs auf, weil er nicht mehr konnte. Und, wo wir grad über Doubledassdrumming sprachen: Der Typ hatte einen anderen Ansatz. Er spielte überhaupt keine Bassdrum. Brillant. Als ich kam, dachten sie, ich wäre Buddy Rich – und alles, was ich konnte, war „Buff-Tschak-Buff-Tschak“... in verschiedenen Geschwindigkeiten. Das war mein gesamtes Repertoire zu der Zeit.

DH!!: Dein Weg von da zur Perkussion verlief bestimmt auch nicht geradlinig, oder?
Pete: Nein, auch da half wieder der Zufall. Ich schaute mir ein Gratis-Konzert mit indischer Musik an, wo Zakir Hussain spielte, der Gott der indischen Percussion. Das war das erste Mal, das ich sowas sah, und ich dachte: „Wow! Das ist unglaublich!“

DH!!: Als Punkdrummer hast du dir ein Konzert mit indischer Musik angehört? Das wird ja immer absurder.
Pete: Nein, da war ich schon Rockdrummer. Zwei, drei Jahre später. Da war ich inzwischen nach London gezogen. Und da sah ich also zum ersten Mal im Leben Tablas. Wenn du die zum ersten Mal siehst, ist das geradezu wahnwitzig. Du hörst diesen massiven Sound und weißt nicht, wo er herkommt. Und dann sah ich ein paar Wochen später eine Anzeige in der Zeitung, die ich in dieser Art weder davor noch danach wieder gesehen habe: „Tabla Unterricht“. Es hat quasi mich gefunden, nicht umgekehrt. Dazu kam, dass ich damals im Stadtteil Tottenham wohnte, und mein Nachbar dort war gerade aus der Psychiatrie entlassen worden. Jedesmal, wenn ich anfing, Schlagzeug zu üben, rannte er raus vors Haus und flippte da völlig aus (lacht). Also packte ich das Schlagzeug erstmal weg. Tablas passten da dann ganz gut.

DH!!: Arbeitest du eigentlich heute auch noch als Drummer?
Nicht wirklich, ab und zu noch ein bisschen. Die Leute kennen mich als Perkussionisten. Und ich bevorzuge das, wegen der angesprochenen Lyrik. Stöcke finde ich ehrlich gesagt zu aggressiv, zu sehr Hardcore. Obwohl ich als Perkussionist natürlich auch Stöcke verwende, wenn ich etwa Timbales spiele.

DH!!: Ich fand als Anfänger den Claim „Schlagzeug und Percussion“ hinter meinem Namen sehr reizvoll. Obwohl ich keine Ahnung hatte, was mit „Percussion“ eigentlich genau gemeint sein soll. Daran hat sich bis heute für viele Drummer nichts geändert. Es gibt immer noch eine Kluft zwischen Schlagzeug und Percussion, die Viele nicht überspringen können. Was ist deine Erklärung dafür?
Pete: Da ist ein Unterschied, wie Leute es konzeptualisieren: Das gehört da rein, das dort rein. Ich denke in Sounds, ich sehe da keinen Unterschied. Mir geht es darum, wie man einen interessanten Sound erzielt. Doch ich würde mir mehr gegenseitige Befruchtung wünschen. Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Drummer für Percussion interessieren und sie in ihr Set-Up integrieren. Vor allem, wenn sie wüssten, dass dich das in eine bessere Position bringt, auch was Jobs angeht. Sei es im Studio oder bei Unplugged-Gigs: Du siehst immer noch nicht viele Drummer mit Percussion-Instrumenten.

DH!!: Du hast auch Jobs, die außerhalb des üblichen konzertanten Rahmens liegen. Zum Beispiel hört man dich auf verschiedenen James-Bond-Soundtracks trommeln. Wie kamst du denn dazu?
Pete: Stimmt, ich habe an den letzten fünf Bond-Filmen mitgewirkt. Ich kenne den Komponisten sehr gut, wir haben schon viel miteinander gearbeitet. Am Anfang war es nur ein Studiojob, mittlerweile ruft er vorher an, erzählt mir vom Setting des Films und fragt mich, ob ich zum Beispiel ein paar afrikanisch klingende Rhythmen beisteuern kann. Also habe ich eine Menge Multi-Tracks vorbereitet, 8 oder 16 Takte lang, vielleicht so 20 verschiedene Sachen, mit unterschiedlichen Tempi, unterschiedlichen Texturen... Dann schreibt er die Scores dazu, und ich füge vielleicht nachher noch was dazu. So haben wir das bei den letzten paar Malen gemacht. Die letzten beiden Soundtracks habe ich in meinem Studio zu Hause eingespielt.

DH!!: Siehst du dazu dann auch Teile des Films?
Pete: Am Anfang, als ich dazu noch ins Studio gehen musste, war das so. Ich habe gerade was für Danny Boyles neuen Film eingespielt, der Typ, der „Slumdog Millionaire“ gemacht hat. Das war im Studio, wo ich den Film gesehen habe. Aber das ist mittlerweile die Ausnahme: Vielleicht noch sieben bis acht Prozent meiner Arbeit bestehen aus Studio-Aufnahmen. Vielleicht auch nicht mal mehr soviel.

DH!!: Hat sich das sehr verändert in den letzten Jahren?
Pete: Für mich hat sich nicht so viel verändert. Ich mache meine Solo-Sachen, genauso wie Kollaborationen. Zum Beispiel bin ich grade in ein Projekt involviert mit 25 indischen Musikern aus Rajastan, richtig tief in der Wüste. Vor zwei Wochen war ich da für eine Woche zum Proben. Wir werden zusammen auf dem Jodpur Folk Festival spielen. In den Dörfern von Rajastan hat sich in den letzten paar tausend Jahren das Leben nicht sehr verändert. Ihre Musik und die Art, wie sie sie spielen, ist ein Teil ihres täglichen Lebens. Während es hier was völlig Anderes ist: ein Unterhaltungs- und Business-Ding. Ein Add-On. Ich finde es wichtig, diese andere Philosophie und Lebensanschauung zu kennen. Und sich Gedanken darüber zu machen, warum wir überhaupt Musik machen.

DH!!: Daneben bist du aber in Indien sicher rhythmisch auch ziemlich herausgefordert, oder?
Pete: Die indische Musik ist ohne jeden Anflug von Zweifel die am höchsten entwickelte Form von linearer Rhythmik überhaupt. Weltweit. Ich spreche jetzt nicht von Polyrhythmik oder Unabhängigkeit.

DH!!: Kannst du mal ein Beispiel geben? Für jemanden, der sich mit indischer Rhythmik gar nicht auskennt?
Pete: Das findest du alles in meinem Buch „Indian Rhythms on the Drumset“ aufgeschrieben. Vielleicht auch ähnlich wie in Gavin Harrisons „Rhythmic Illusions“. Wenn du zum Beispiel in Pattern in 4/4 hast (singt es vor), würden Inder es vielleicht in Quintolen setzen (singt es vor). Das ganze System ist schlicht und einfach unglaublich weit entwickelt.

DH!!: In das in Indien immer so, dass man alles auch singen können muss, was man spielt?
Pete: Ja, jeder Schlag auf der Trommel hat eine Silbe. Diese Silben lernst du automatisch mit, wenn du trommeln lernst. Das wird zu ein-und derselben Sache. Wenn ich Tabla spiele, kann ich gar nicht anders, als die Silben auch zu hören. Am Anfang natürlich nicht, da hörst du erstmal nur den Tabla-Sound. Aber irgendwann kommst du an den Punkt, wo du die Silben einfach mithörst. Die eigentliche Vokalperkussion ist eine eigene Kunstform für sich. Die Art, wie ich spiele, ist in der Hauptsache südindisch. Ich will jetzt nicht sagen, das ist so wie der Unterschied zwischen Rock und Jazz, aber in gewisser Weise ist es wirklich so.

DH!!: Was ist eigentlich das Abgefahrenste, was dir bei deinen ganzen musikalischen Weltreisen passiert ist. Gibt es da besondere eine Anekdote?
Pete: Puh... schwierig, da irgendwas rauszupicken. Bei einem Konzert in Indien war es so, dass ich ankam und es war überhaupt noch keine PA da ... Es war eigentlich nichts da. Um 16 Uhr fingen die grad an, die Bühne zusammen zu schweißen. In Indien funktioniert alles anders: Du musst lernen zu akzeptieren, dass die Dinge langsamer passieren ... wenn sie überhaupt passieren. Sie finden nicht nach straffem Zeitplan statt, sondern irgendwann ... oder niemals.

Interview: Cord Radke


 

 

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