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Kenn: Schlagzeuger – Pete Lockett
Interview mit Pete Lockett
HL:
Vom Punkdrumming zur rhythmischen Lyrik
VL:
Der Brite Pete Lockett fing mit Punkdrumming an und ist heute ein
Meister der sachten Töne: Von der Tabla über Rahmentrommeln über Bongos,
Djembe bis zur Cajon ... kaum ein Rhythmusgerät, das er nicht
meisterlich beherrscht. Wir trafen ihn während des Dresdner
Drumfestivals zum Gespräch.
Zitate:
- „Im Metaldrumming fehlt mir die lyrische Qualität.“
- „Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Drummer für Percussion
interessieren.“
- „Indische Musik ist die am höchsten entwickelte Form von linearer
Rhythmik.“
DrumHeads!!:Pete, du hast als Punkdrummer mit dem Trommeln angefangen,
und gleich nach dir betrat der Blastbeat-Drummer George Kollias die
Bühne. Statt ihm zuzuschauen, sitzen wir jetzt hier und machen ein
Interview. Stoßen sich Percussion und Metaldrumming gegenseitig ab?
Pete Lockett:. Der Einzige in dem Business, den ich gut kenne, ist Derek
Roddy. Der ist ein toller Instrumentalist und der Einzige, den ich mir
wirklich mal richtig angeschaut habe. Ich als Perkussionist denke aber
vielschichtig – besonders bei Aufnahmen, wo ich manchmal 15 bis 20
Spuren nacheinander einspiele. In diesem Zusammenhang würde ich nie eine
derartige Frequenz fühlen. Das hat für mich die rhythmische Lyrik
verloren, die Schönheit all der verschiedenen Töne. Egal, ob du die
höchsten oder mittleren Frequenzen nimmst, oder den Bass... besonders
beim Bass fehlt für mich bei derartigen Beats was von der lyrischen
Qualität.
DH!!: ... lyrische Qualität?
Pete: Ja, der musikalische Fluss. Musikalische Phrasen ... Ich mag Leute
mit guter Doublebassdrum-Technik, die musikalische Phrasen spielen. Dirk
Verbeuren von Soilwork macht das, Derek Roddy auch, die spielen einfach
musikalisch. Das ist der springende Punkt! Es kommt gar nicht darauf an,
ob es Speeddrumming, Jazz oder klassische indische Musik ist, sondern ob
es gut ist. Ob es musikalisch ist. Machst du mit deiner Doublebassdrum
ein musikalisches Statement, oder ist Wut dein Statement? Ich habe mit
Punkdrumming angefangen, mit 19 Jahren, nach dem Gig hab ich mein Kit
zertrümmert. Toll. Fantastisch. Zumindest für ein paar Jahre. Für mich
war das damals ein Statement. Aber dann willst du dich weiter entwickeln
und andere Sachen machen. Für mich geht es einzig darum, zum Kern der
Musik zu gelangen. Das ist die Hauptsache.
DH!!: Du – der bekannte Handtrommel-Virtuose – hast erst mit 19
angefangen zu trommeln ... und dann auch noch Punk?
Pete: Ja, das alles ist auch eher zufällig passiert. Ich lief in
Portsmouth in England, wo ich herkomme, an einem Drumshop vorbei. Da war
ein Schild im Schaufenster: „Schlagzeugunterricht 5 ₤ die Stunde“. Also
ging ich rein, nahm zwei Stunden, und zwei Wochen später spielte ich in
einer Band. Einer Punkband. Der Drummer vor mir hörte mitten in den
Songs auf, weil er nicht mehr konnte. Und, wo wir grad über
Doubledassdrumming sprachen: Der Typ hatte einen anderen Ansatz. Er
spielte überhaupt keine Bassdrum. Brillant. Als ich kam, dachten sie,
ich wäre Buddy Rich – und alles, was ich konnte, war „Buff-Tschak-Buff-Tschak“...
in verschiedenen Geschwindigkeiten. Das war mein gesamtes Repertoire zu
der Zeit.
DH!!: Dein Weg von da zur Perkussion verlief bestimmt auch nicht
geradlinig, oder?
Pete: Nein, auch da half wieder der Zufall. Ich schaute mir ein Gratis-Konzert
mit indischer Musik an, wo Zakir Hussain spielte, der Gott der indischen
Percussion. Das war das erste Mal, das ich sowas sah, und ich dachte:
„Wow! Das ist unglaublich!“
DH!!: Als Punkdrummer hast du dir ein Konzert mit indischer Musik
angehört? Das wird ja immer absurder.
Pete: Nein, da war ich schon Rockdrummer. Zwei, drei Jahre später. Da
war ich inzwischen nach London gezogen. Und da sah ich also zum ersten
Mal im Leben Tablas. Wenn du die zum ersten Mal siehst, ist das geradezu
wahnwitzig. Du hörst diesen massiven Sound und weißt nicht, wo er
herkommt. Und dann sah ich ein paar Wochen später eine Anzeige in der
Zeitung, die ich in dieser Art weder davor noch danach wieder gesehen
habe: „Tabla Unterricht“. Es hat quasi mich gefunden, nicht umgekehrt.
Dazu kam, dass ich damals im Stadtteil Tottenham wohnte, und mein
Nachbar dort war gerade aus der Psychiatrie entlassen worden. Jedesmal,
wenn ich anfing, Schlagzeug zu üben, rannte er raus vors Haus und
flippte da völlig aus (lacht). Also packte ich das Schlagzeug erstmal
weg. Tablas passten da dann ganz gut.
DH!!: Arbeitest du eigentlich heute auch noch als Drummer?
Nicht wirklich, ab und zu noch ein bisschen. Die Leute kennen mich als
Perkussionisten. Und ich bevorzuge das, wegen der angesprochenen Lyrik.
Stöcke finde ich ehrlich gesagt zu aggressiv, zu sehr Hardcore. Obwohl
ich als Perkussionist natürlich auch Stöcke verwende, wenn ich etwa
Timbales spiele.
DH!!: Ich fand als Anfänger den Claim „Schlagzeug und Percussion“ hinter
meinem Namen sehr reizvoll. Obwohl ich keine Ahnung hatte, was mit
„Percussion“ eigentlich genau gemeint sein soll. Daran hat sich bis
heute für viele Drummer nichts geändert. Es gibt immer noch eine Kluft
zwischen Schlagzeug und Percussion, die Viele nicht überspringen können.
Was ist deine Erklärung dafür?
Pete: Da ist ein Unterschied, wie Leute es konzeptualisieren: Das gehört
da rein, das dort rein. Ich denke in Sounds, ich sehe da keinen
Unterschied. Mir geht es darum, wie man einen interessanten Sound
erzielt. Doch ich würde mir mehr gegenseitige Befruchtung wünschen. Ich
würde mir wünschen, dass sich mehr Drummer für Percussion interessieren
und sie in ihr Set-Up integrieren. Vor allem, wenn sie wüssten, dass
dich das in eine bessere Position bringt, auch was Jobs angeht. Sei es
im Studio oder bei Unplugged-Gigs: Du siehst immer noch nicht viele
Drummer mit Percussion-Instrumenten.
DH!!: Du hast auch Jobs, die außerhalb des üblichen konzertanten Rahmens
liegen. Zum Beispiel hört man dich auf verschiedenen
James-Bond-Soundtracks trommeln. Wie kamst du denn dazu?
Pete: Stimmt, ich habe an den letzten fünf Bond-Filmen mitgewirkt. Ich
kenne den Komponisten sehr gut, wir haben schon viel miteinander
gearbeitet. Am Anfang war es nur ein Studiojob, mittlerweile ruft er
vorher an, erzählt mir vom Setting des Films und fragt mich, ob ich zum
Beispiel ein paar afrikanisch klingende Rhythmen beisteuern kann. Also
habe ich eine Menge Multi-Tracks vorbereitet, 8 oder 16 Takte lang,
vielleicht so 20 verschiedene Sachen, mit unterschiedlichen Tempi,
unterschiedlichen Texturen... Dann schreibt er die Scores dazu, und ich
füge vielleicht nachher noch was dazu. So haben wir das bei den letzten
paar Malen gemacht. Die letzten beiden Soundtracks habe ich in meinem
Studio zu Hause eingespielt.
DH!!: Siehst du dazu dann auch Teile des Films?
Pete: Am Anfang, als ich dazu noch ins Studio gehen musste, war das so.
Ich habe gerade was für Danny Boyles neuen Film eingespielt, der Typ,
der „Slumdog Millionaire“ gemacht hat. Das war im Studio, wo ich den
Film gesehen habe. Aber das ist mittlerweile die Ausnahme: Vielleicht
noch sieben bis acht Prozent meiner Arbeit bestehen aus Studio-Aufnahmen.
Vielleicht auch nicht mal mehr soviel.
DH!!: Hat sich das sehr verändert in den letzten Jahren?
Pete: Für mich hat sich nicht so viel verändert. Ich mache meine Solo-Sachen,
genauso wie Kollaborationen. Zum Beispiel bin ich grade in ein Projekt
involviert mit 25 indischen Musikern aus Rajastan, richtig tief in der
Wüste. Vor zwei Wochen war ich da für eine Woche zum Proben. Wir werden
zusammen auf dem Jodpur Folk Festival spielen. In den Dörfern von
Rajastan hat sich in den letzten paar tausend Jahren das Leben nicht
sehr verändert. Ihre Musik und die Art, wie sie sie spielen, ist ein
Teil ihres täglichen Lebens. Während es hier was völlig Anderes ist: ein
Unterhaltungs- und Business-Ding. Ein Add-On. Ich finde es wichtig,
diese andere Philosophie und Lebensanschauung zu kennen. Und sich
Gedanken darüber zu machen, warum wir überhaupt Musik machen.
DH!!: Daneben bist du aber in Indien sicher rhythmisch auch ziemlich
herausgefordert, oder?
Pete: Die indische Musik ist ohne jeden Anflug von Zweifel die am
höchsten entwickelte Form von linearer Rhythmik überhaupt. Weltweit. Ich
spreche jetzt nicht von Polyrhythmik oder Unabhängigkeit.
DH!!: Kannst du mal ein Beispiel geben? Für jemanden, der sich mit
indischer Rhythmik gar nicht auskennt?
Pete: Das findest du alles in meinem Buch „Indian Rhythms on the Drumset“
aufgeschrieben. Vielleicht auch ähnlich wie in Gavin Harrisons „Rhythmic
Illusions“. Wenn du zum Beispiel in Pattern in 4/4 hast (singt es vor),
würden Inder es vielleicht in Quintolen setzen (singt es vor). Das ganze
System ist schlicht und einfach unglaublich weit entwickelt.
DH!!: In das in Indien immer so, dass man alles auch singen können muss,
was man spielt?
Pete: Ja, jeder Schlag auf der Trommel hat eine Silbe. Diese Silben
lernst du automatisch mit, wenn du trommeln lernst. Das wird zu ein-und
derselben Sache. Wenn ich Tabla spiele, kann ich gar nicht anders, als
die Silben auch zu hören. Am Anfang natürlich nicht, da hörst du erstmal
nur den Tabla-Sound. Aber irgendwann kommst du an den Punkt, wo du die
Silben einfach mithörst. Die eigentliche Vokalperkussion ist eine eigene
Kunstform für sich. Die Art, wie ich spiele, ist in der Hauptsache
südindisch. Ich will jetzt nicht sagen, das ist so wie der Unterschied
zwischen Rock und Jazz, aber in gewisser Weise ist es wirklich so.
DH!!: Was ist eigentlich das Abgefahrenste, was dir bei deinen ganzen
musikalischen Weltreisen passiert ist. Gibt es da besondere eine
Anekdote?
Pete: Puh... schwierig, da irgendwas rauszupicken. Bei einem Konzert in
Indien war es so, dass ich ankam und es war überhaupt noch keine PA da
... Es war eigentlich nichts da. Um 16 Uhr fingen die grad an, die Bühne
zusammen zu schweißen. In Indien funktioniert alles anders: Du musst
lernen zu akzeptieren, dass die Dinge langsamer passieren ... wenn sie
überhaupt passieren. Sie finden nicht nach straffem Zeitplan statt,
sondern irgendwann ... oder niemals.
Interview: Cord Radke
"You were born an
original; don't die a copy."
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